Hintergrund: Bestseller-Service in der Stadtbibliothek Mannheim

4. September 2007 | Von | Kategorie: Bibliotheken regional

Mit der Einführung dieses Service liegt die Stadtbibliothek zwar voll im Trend, begibt sich mit ihrer Begründung möglicherweise aber auch juristisch auf dünnes Eis. Seit 2005 liegen Bibliotheken und Verlage im Clinch, ob mit dem Besteseller-Service die Grenzen zwischen Verleih und Vermietung überschritten werden. Verleih ist den Bibliotheken selbstverständlich erlaubt, Vermietung gegen Entgelt hingegen nicht.

Vergleicht man die Bestseller-Praxis und die dort verlangte Vergütung mit sonstigen Ausleihbedingungen und Preisen, fällt auf, dass allein für Bestseller eine besondere Vergütung – zusätzlich zu dem jährlich zu erwerbenden Bibliotheksausweis – zu zahlen ist. Hinsichtlich aller anderen üblichen Medien wird kein Betrag verlangt. Infolgedessen kann es sich bei 2,00 Euro pro Bestseller nicht mehr um bloße kostendeckende Verwaltungskosten handeln; denn diese Kosten müssten dann auch bei allen anderen Ausleihvorgängen hinsichtlich anderer Medien, die keine Bestseller sind, verlangt werden. Die kostendeckenden Verwaltungskosten werden jedoch schon mit dem jährlichen Betrag zum Erwerb des Bibliotheksausweis abgedeckt. Jedenfalls zeigt diese ungleiche Vergütungsstruktur bei Bestsellern einerseits und Nicht-Bestsellern andererseits, dass es sich bei 2,00 Euro um ein wirtschaftliches Entgelt, nicht hingegen um zu deckende Verwaltungskosten handelt. Die für eine einschälgige Vermietung erforderlichen Nutzungsrechte haben die Bibliotheken nicht erworben. Infolgedessen begehen sie Urheberrechtsverletzungen, wenn die bisherige Praxis zur Überlassung von Bestsellern fortgeführt wird. So jedenfalls der Standpunkt der Juristen des Börsenvereins auf Verlegerseite.

Die Erhebung von Gebühren als solche schließen eine Leihe nicht aus, sofern keine Gewinne erwirtschaftet werden, sondern lediglich der Verwaltungsaufwand abgegolten wird. Problematisch ist hier, und da greift die Argumentation der Verlagsjuristen ein, daß die Bibliotheken mit den erhöhten Einnahmen durch die Bestseller ihren Erwerbungsetat erhöhen wollen. So gesehen sind hier “Gewinne” beabsichtigt. Ob sich dieses Vorgehen tatsächlich rechnet, ist eine andere Frage. Der Erwerbszweck der Bibliothek ist ein öffentlicher Zweck, insofern er der Stärkung ihrer (schwachen!) Kaufkraft und damit der Bereitstellung von Literatur für die Allgemeinheit dient. Dieser Vorgang ist mitnichten ein wirtschaftlich lohnender, sondern ein Zuschußgeschäft. Auch ist es nicht zutreffend, einfach zu behaupten, mit einer allgemeinen Leserausweisgebühr sei die gesamte Benutzung einer Bibliothek abgegolten. Bibliotheken können immer für besondere Nutzung auch eine besondere Gebühr erheben. So argumentiert ein Teil der Bibliotheksseite.

Neben der Diskussion um die juristischen Fragen wird vor allem unter Bibliothekaren darüber diskutiert, ob ein solcher Service überhaupt sinnvoll im Sinne des Auftrags ist, den eine Bibliothek zu erfüllen hat.

Nicht jeder Bestseller ist ein wirklich interessantes, gut geschriebenes, inhaltsreiches oder sorgfältig erarbeitetes Buch. Denis Scheck Literaturredakteur beim Deutschlandfunk und “Druckfrisch” Moderator z.B. versieht regelmäßig 60‑70 % der Spiegel‑Bestsellerliste mit einem Minuszeichen. Wenn man Lesern, die mit ihrer Lesekarte, meist schon gegen nicht unerhebliche Jahresgebühr, das Recht erworben haben, den vorhandenen Bestand der Bibliothek ohne weitere Kosten zu benutzen und zu entleihen, für bestimmte Teile des Buchbestandes Einzelgebühren abnimmt, dann suggeriert man doch, dass sie dafür auch etwas besonders Wertvolles bekommen bzw. dass es in jedem Fall das Extrageld wert ist, diesen oder jenen Bestseller jetzt sofort und unter erhöhtem Zeitdruck und erneuter Gebührenzahlung zu bekommen. So die Ansicht einer Bibliothekarin aus Berlin.

Es gab in Berlin z.B. nicht wenige BibliotheksbenutzerInnen, die ganz spontan ihr Entsetzen über die Praxis der Bestseller-Gebühren äußerten: aus grundsätzlich‑ethischen Motiven, Freiheit des Zugangs zu allen Medien und Informationen für jeden Bürger. Die wachsende Zahl der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Kleinstverdiener wird zu Nutzern zweiter Klasse und aus pragmatischen Gründen wir haben sowieso schon eine Jahresgebühr bezahlt, es ist nicht logisch einsehbar, warum die Mehrzahl der Bücher und Medien dann kostenlos entliehen werden kann, aber bestimmte Bücher nicht.

Für die Stadtbibliothek Mannheim, die sich gern mit dem Zusatz „im Fachbereich Bildung“ schmückt, dürfte der Bestseller-Service zu einem besonderen Spagat werden:
Wenn, wie angekündigt, die Einnahmen aus dem Service ausschließlich zum Erwerb neuer Exemplare für diesen Service verwendet werden und das kostendeckend ist, wie will man dann den Argumenten der Verlagsseite entgegentreten, dass dies ist weder nach Erwägungsgrund 14 der EU-Richtlinie zum Vermietrecht noch anderweitig gerechtfertigt ist und es sich um eine Vermietung handelt, die ohne vorherige Einräumung des Vermietrechts unzulässig ist?

Ist der Service nicht, wie angestrebt, kostendeckend, wie will man den Bibliotheksnutzern und dem Bibliotheksträger dem Gemeinderat der Stadt Mannheim gegenüber rechtfertigen, dass es Sinn macht, den regulären Bibliotheksetat einseitig zu Gunsten der SPIEGEL-Bestsellerliste und extra-zahlenden Nutzerinnen und Nutzern anzuzapfen?

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