1 Buch im Dreieck

27. Januar 2005 | Von | Kategorie: Literaturveranstaltungen

Haben Sie schon einmal ein Buch “im Dreieck” gelesen? Wählen Sie Ihr Lieblingsbuch nach folgenden Kriterien aus? “Ein Roman soll es sein, der für Jugendliche ab 16 Jahren sowie für Erwachsene aller Altersgruppen geeignet ist. Geschrieben sollte er von einem/er deutschsprachiger/en Autor/in der Gegenwart sein. Das Buch sollte als Taschenbuch erhältlich sein, nicht zu umfangreich (bis 250 Seiten) und nicht wesentlich mehr als 10 Euro kosten.” Wenn dies zutrifft, dann sind Sie reif für das psychologisch betreute “Massenlesen”, das von heute an das “Rhein-Neckar-Dreieck” erfassen und bis weit ins Jahr 2006 hinein reichen soll.

Das Modell “Eine Stadt liest ein Buch” soll weit über die Grenzen einzelner Städte und Gemeinden hinaustragen. “Das Kulturprojekt “1 Buch im Dreieck” ist ein flächendeckendes Experiment, denn bislang hat noch nie eine ganze Region EIN Buch gelesen. Über Mannheim hinaus machen viele Partner zwischen Bad Bergzabern und Buchen, Bensheim und Sinsheim, in den Großstädten der Region wie auch in der Pfalz, im Odenwald und an der Bergstraße mit. Bibliotheken, Buchhandlungen, Schulen, Vereine, Unternehmen und andere Leseförderer werden mit Veranstaltungen und Aktionen den Blick auf DAS BUCH um viele neue Facetten bereichern. Auf diese Weise präsentiert sich das Rhein-Neckar-Dreieck nicht nur als ein traditionell bedeutender Kultur-und Wirtschaftsstandort, sondern auch als eine gemeinsame Leselandschaft.” so die Mitteilung des Presseamtes der Stadt Mannheim von Do. 27.01.05 14:06 Uhr. Desweiteren erfahren wir, “die großen Stadtbibliotheken aus Heidelberg, Ludwigshafen und Mannheim haben die Projektkoordinierung übernommen. Als Hauptsponsor unterstützt die BASF Aktiengesellschaft im Rahmen ihrer Aktion “Mit uns gewinnt die Region” das einzigartige Leseprojekt.” Organisatorischer Ansprechpartner sei: “Projektbüro 1 Buch”, Wolfgang W., c/o Stadtbücherei Heidelberg, Poststraße 15, 69115 Heidelberg”.

Wolfgang W., ein Wieslocher Bürger, so die Homepage der Stadtbücherei Wiesloch habe im Herbst 2002 in der “Süddeutschen Zeitung” die Idee “eine Stadt liest ein Buch” entdeckt und sie der Stadt Wiesloch vorgetragen und dann, auf die Idee von Oberbürgermeister Franz Schaidhammer hin, auch der Stadt Walldorf. Alle waren begeistert. So kam der Stein ins Rollen: “2 lesen 1″ – Wiesloch und Walldorf lesen ein Buch. Im Mai 2003 Begann die Organisation – im März 2004 lief die Aktion über die Bühne mit Sten Nadolnys “Die Entdeckung der Langsamkeit”.

Wolfgang W. ist nicht etwa, wie man aus der Adressenangabe in der Pressemitteilung aus Mannheim vermuten könnte, Mitarbeiter der Stadtbücherei Heidelberg. Er ist auch kein einfacher literaturinteressierter Bürger, den die Freude am gemeinsamen Lesen umtreibt. “Wolfgang W., Jahrg. 1950, Dipl.Psych. Langjährige, selbständige Tätigkeit als Psychotherapeut sowie als Personal- und Organisationsentwickler im Sozial- und Gesundheitswesen (Landeswohlfahrtsverband, psychiatrische Krankenhäuser). Danach Schwerpunkt auf Tätigkeit als Supervisor (DGSv). In den letzten zehn Jahren Hauptakzent auf Coaching, Teamberatung, Bereichsentwicklung, Qualitätsmanagement (z.B. KVP), Kriseninterventionen in Handel und Industrie. Kunden.: L’Oréal Deutschland, Bosch, GTZ, JET-Conoco, SAP, Rüsch (Medizintechnik), Walter AG Tübingen, Wangner Novatech (Druckmaschinenzulieferer), Stadtverwaltung Mannheim” lesen wir auf der Homepage von Holzhauser & Partner GbR. Er ist einer von vier Gesellschaftern dieser Firma, die von sich sagt: “Wir sind eine Beratersozietät, die seit 20 Jahren Leistungen im Bereich Organisationsentwicklung erbringt. Wir begleiten Veränderungs- und Integrationsprozesse im nationalen und internationalen Rahmen.” 2005 coachen Holzhauser und W. “Organisationsentwicklung (I)” bei der GTZ , Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. 2003 kümmerten sie sich um den “Umgang mit Veränderungs- und interkulturellen Integrationsprozessen” bei den Führungskräften von EADS Airbus in Hamburg.

Berücksichtigt man, welche Kreise als Sponsoren hinter der Wiesloch-Walldorfer Aktion standen und wer hinter dem Projekt “1 Buch im Dreieck” steht, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei der Aktion weniger um Leseförderung sondern vielmehr um industrienahes Eventmarketing handelt. Das Ärgerliche daran ist, dass externe “Berater zu Kriseninterventionen” die knappen personellen Ressourcen öffentlicher Einrichtungen wie Bibliotheken zusätzlich mit ihren Inszenierungen längerfristig auf Trab halten und ahnungslose Bürger einer ganzen Region zu Statisten ihrer Marketingkonzepte degradieren. Was Hartz, Huntzinger und Co. in Bonn und Berlin betreiben, hat Wolfgang W. auf kommunaler und regionaler Ebene erreicht. Mit zwei Büchern, die er weder selbst geschrieben hat oder auch nur vorgelesen hätte, ist es ihm gelungen, sich von 2003 – 2006 über vier Jahre hin ein regelmässiges Einkommen zu sichern.

Angesichts des bestehenden Einstellungsstops bis 2007 bei der Stadtbücherei Mannheim können einzelne Zweigstellen nur mit ehrenamtlichen Kräften und vielleicht “Ein-Euro-Jobbern” überhaupt noch offen gehalten werden. Dem Mannheimer “Bildungs-Bürgermeister”, so bezeichnet das Presseamt den entsprechenden Fachdezernenten, stünde es gut an, nicht nur die Themenpatenschaft zu übernehmen, sondern offen zu legen, welche zusätzlichen Arbeitsbelastungen auf die Bibliotheksmitarbeiter durch diese Aktion hinzukommen, welcher konkret messbare Nutzen den beteiligten Bibliotheken und öffentlichen Einrichtungen aus der Beteiligung erwächst. Vorallem aber auch, wer für die finanzielle Seite des Projektes mit welchen Mitteln gerade steht. Das gilt für seine Kolleginnen und Kollegen in den beteiligten Städten und Gemeinden selbstverständlich ebenso. Wenn die Stadt Mannheim auf W.s Kundenliste steht, muss es einen Beratervertrag geben: Wobei berät er, welche Leistungen erbringt er, aus welchem Etat kommt sein Honorar, wer hat das genehmigt?

siehe auch: 1 Buch im Dreieck: Die unberuehrte Sehnsucht des blauen Kleides von Rostock

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8 Kommentare
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  1. [...] 3 – 2006 über vier Jahre hin ein regelmässiges Einkommen zu sichern. Szyllas Lesezeichen zeigt Zustände auf, die einen wirklich den Kopf schütteln lassen. [...]

  2. Wer das Wiesloch-Walldorfer Projekt miterlebt hat, weiß solche Angebote und Events mehr als zu schätzen: die „ahnungslosen Bürger“ haben sich riesig gefreut, waren interessiert, haben ihre einsam-gemütlichen Fernsehabende eingetauscht gegen kommunale Treffen, sind auf eigene Ideen gekommen, haben sich in die Öffentlichkeit gewagt und haben sie eingebracht, haben aktiv mitgestaltet, haben etwas auf die Beine gestellt, was sie als „Eigenen Beitrag“ erlebt haben und waren mächtig stolz auf ihr Wirken. Es war überraschend, wie viele Mitbürger jeden Alters neugierig daran teilgenommen haben, miteinander ins Gespräch kamen, sich kennen lernen konnten, miteinander diskutiert und gelacht haben.

    Solche Projekte sind für mich neue Formen im gemeinsamen Zusammenleben, sie sind bereichernd und wertvoll, für Jung und Alt. Wie etwa auch die Nacht der Museen! Das ist ein völlig neuer Zugang zu der Museumskultur, für die ich dankbar bin – und ich zähle mich zu den älteren Mitbürgern! Das steht doch in keiner Konkurrenz zu dem „normalen“ Museumsbesuch, es ist eine Ergänzung und für viele sicherlich auch ein Zugang zu Kulturstätten, die sie sonst nicht besuchen würden. Genauso erlebe ich diese völlig neue Art, mit Literatur umzugehen. Mit wenigen Mitteln wird hier viel bewegt. Es ist völliger Nonsens zu sagen, diese Mittel sollten besser anderweitig gesponsert werden, nur weil es tatsächlich an anderen Orten an Gelder fehlt.

    Den abschätzigen Unterton, der Deinen gesamten Artikel durchzieht, finde ich völlig einseitig und fehl am Platz. Ich habe den Verdacht, dass Du hier mit Absicht einen Verriss schreiben wolltest, ohne jeden eigenen Bezug und persönliche Erfahrung zur Sache. Schade eigentlich, denn einige Deiner Fragen haben sicherlich eine Berechtigung und würden es verdienen, angehört zu werden. Oder willst Du gar keine Antworten, tust Du das „Just for pulp?!“ Das fände ich doppelt schade!

    Mit Gruß – ein Wolfgang aus Pforzheim

  3. siehe: Leseförderung contra Eventmarketin
    siehe: Fassade statt Substanz

  4. Dem Kommentar von Wolfgang Friedebach kann ich mich voll anschließen. Der Verriß von Ihnen ist über seine Einseitigkeit hinaus – persönlich diffamierend der Person und dem Engagement Wolfgang Widders gegenüber. Was für ein Motiv – Intention steckt hinter so einem diffarmierenden, einseitigen Verriß? Sicher gilt es kritische Fragen der öffentlichen Begeisterung gegenüber sponsorship und eventmarketing zustellen – z.b.Heidelbergs neuem Fußballstadion gegenüber etc.
    Aber deshalb gleich alles pauschalisierend in Grund und Boden zu rammen, scheint mir nicht der richtige Weg für eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Projekt “ein Buch” und der Thematik – sinnvoller Umgang mit sponsorengelder und eventmarketing.
    Mir persönlich hat das Projekt den Autor Delius näher gebracht. Ich hatte die Gelegenheit durch verschiedene künstlerische Perspektiven wie musik, Tanz, Tanztheater und Diskussionen meine doch immer eingeschränkt subjektive Leseperspektive zu erweitern.
    Gegenüber meinen sonst recht einsamen, eingeschränkten Lektüreerfahrungen eine vielfältige Bereicherung. Dafür bin ich dankbar, das fand ich klasse.
    Grüße Andrea Goll-Kopka

  5. Leider bin ich erst heute auf diese Website gestossen und wundere mich nun sehr:
    Der Verfasser/Die Verfasserin des Artikels beschreibt sehr ausführlich seine Kritik über ein – zum Zeitpunkt des Artikels – noch nicht erfolgtes Projekt, ich finde aber keinerlei Berichte über irgend eine Veranstaltung, an der er/sie seine Kritik festmachen kann. Anscheinend kam es ihm/ihr nur darauf an etwas von vorneherein “platt zu machen”.

    Konstruktive Kritik finde ich gut und wichtig – aber auf Mißmacherei kann man gestrost verzichten, davon haben wir in Deutschland wahrlich genug.

    1.)Ich traue allen Einwohnern des Rhein-Neckar-Dreiecks zu, dass sie selbst in der Lage sind, über ihr Freizeitverhalten zu entscheiden und sich nicht auf “Trab halten lassen” müssen, wenn sie dies nicht wollen. Und rund 25.000 Besucher bei rund 550 Veranstaltungen haben selbständig und eigenverantwortlich über ihre Teilnahme entschieden!

    2.)Die Bücherei möchte ich mal sehen, die ihre gesamte Arbeit während der offiziellen Arbeitszeiten schafft und nicht noch extra -Stunden anhängen muss um insbesondere gute Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Von den komplett ehrenamtlich geführten Büchereien ganz zu schweigen (ja die gibt es wirklich). Darüber hinaus war es jeder Bücherei freigestellt, sich zu beteiligen oder nicht und es haben auch viele entschieden nicht oder nur in geringem Umfang daran teilzunehmen. Auch dort arbeiten nämlich mündige Bürgerinnen und Bürger!

    3.)Die eingesetzten Sponsorengelder wären nie in die Bibliotheksarbeit geflossen. (Das die Kommunen die Mittel kürzen oder erst gar keine für Büchereien zur Verfügung stellen ist richtig, hat aber mit den Sponsorengeldern überhaupt nichts zu tun !)

    4.)Was die Aktion für die Öffentlichkeitsarbeit der Büchereien bewirkt hat, kann jeder selbst beurteilen wenn er die Pressearbeit während der drei Wochen sieht.

    5.) Über die Begeisterung der einzelnen Teilnehmer/innen hat Andrea Goll-Kopka bereits geschrieben, dem kann ich mich nur anschließen.

    Mein Fazit lautet daher: Ein tolles Projekt, das die Region im wahrsten Sinne des Wortes bewegt hat und vieles in Gang gebracht hat, das es Wert ist weiter ausgebaut und gepflegt zu werden. Darüber hinaus war es ein deutlicher Beweis, dass man was erreichen kann, wenn man nicht nur lamentiert, sondern sich engagiert – im Übrigen ganz im Sinne von Paul Gompitz, der ganz zurecht als “das Buch” gewählt wurde.

    Im Übrigen: Wer gute Arbeit leistet hat auch ein Recht auf angemessene Bezahlung. (oder ist der Verfasser nur neidisch, dass er nicht selbst die Idee hatte?)

    Doris Feurer

  6. Werte Frau Feurer,
    vielen Dank für Ihre Anmerkungen.
    > Der Verfasser/Die Verfasserin des Artikels beschreibt sehr ausführlich
    > seine Kritik über ein – zum Zeitpunkt des Artikels – noch nicht erfolgtes
    > Projekt, ich finde aber keinerlei Berichte über irgend eine Veranstaltung,
    > an der er/sie seine Kritik festmachen kann.
    Wie Sie richtig bemerkt haben, ist der Artikel vom Frühjahr 2005 und kann logischerweise keinen Bericht über Veranstaltungen vom März 2006 enthalten. Wenn mir ein Projekt missfällt, muss ich nicht warten bis es vorbei ist, um meinem Missfallen Ausdruck zu verleihen. Wenn Sie Veranstaltungen suchen, die mir missfallen haben siehe: http://www.lesezeichen.szylla.net/index.php?p=396
    > Darüber hinaus war es jeder Bücherei freigestellt, sich zu
    > beteiligen.
    Was macht Sie da so sicher??
    > Mein Fazit lautet daher: Ein tolles Projekt, das die Region im wahrsten
    > Sinne des Wortes bewegt hat und vieles in Gang gebracht hat, das es Wert
    > ist weiter ausgebaut und gepflegt zu werden.
    Schön für Sie, dass es Ihnen gefallen hat.
    Was hat es bewegt, was hat es in Gang gebracht?? Was soll gepflegt und ausgebaut werden?
    > (oder ist der Verfasser nur neidisch, dass er nicht selbst die
    > Idee hatte?)

    Nein, die mir angebotene Mitarbeit habe ich abgelehnt.

  7. Hallo Herr / Frau WT,

    kurz meine Anmerkungen zu Ihrem Kommentar:

    1) Der Link weist auf eine Aufzählung von Veranstaltungen hin, erweckt bei mir aber den Eindruck, dass Sie keine der Veranstaltungen wirklich besucht haben.

    2) Ich bin mir deshalb so sicher, dass die Büchereien die freie Wahl hatten, da ich zum einen selbst Büchereileiterin bin und zum anderen es genügend Büchereien und Kommunen kenne, die sich ausgeklinkt haben und nicht teilgenommen haben.

    3) – Es hat Sie bewogen darüber – wenn auch hauptsächtlich negativ -zu schreiben.
    - 25.000 Menschen haben Veranstaltungen besucht und haben sich dafür in Bewegung gesetzt.

    und nun ernsthaft:

    Die Büchereien in der Metropolregion und insbesondere in den Programmregionen haben sich durch das Projekt kennengelernt und die Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit geschaffen.

    Kulturarbeit wurde zu einem zentralen Thema der Region. Kennen Sie was Vergleichbares für Kulturthemen? Wohl eher nicht.

    Doris Feurer

    - Menschen haben nicht nur alleine ein Buch gelesen, sondern sich über die eigenen Erfahrungen dabei ausgetauscht und viele andere Aspekte überhaupt erst wahrgenommen.

  8. Kurze Replik zu den Anmerkungen:

    ad 1) Warum sollte ich mir wegen eines Romans von Delius, den ich übrigens sehr schätze, eine Bademoden- und eine Sanitärausstellung ansehen oder einen Knotenknüpfkurs in einer Segelschule besuchen?

    ad 2.) Auch wenn Sie Leiterin einer katholischen Bücherei (KÖB Impulse Dielheim) sind, können Sie nur für sich selbst, Ihre Erfahrungen und Ihre Einrichtung sprechen. Mir sind andere Reaktionen bekannt.

    Für meinen Teil ist die Diskussion zu diesem Beitrag beendet. Wer weiter kommentieren will, kann dies aber gerne tun.