Leselust und Räuberfrust – Heinrich-Vetter-Literaturpreis 2006

26. September 2006 | Von | Kategorie: Literaturveranstaltungen

Der Mannheimer Heinrich-Vetter-Literatur-Preis wird von “Die Räuber´77″ Literarisches Zentrum Rhein-Neckar e.V. vergeben und hieß bis 2004 einfach Mannheimer Literaturpreis. Ohne Heinrich Vetter und der Stiftung, die er hinterlassen hat, gäb es diesen Preis nicht mehr. Das diesjährige Thema: “Wo bin ich zu Hause” bezog Räuber Geschäftsführer – einen Hauptmann kennt das deutsche Vereinsrecht ja nicht – Adolf Kutschker in seiner Rede anlässlich der Preisverleihung auch auf die Situation seiner Vereinigung. Er erinnerte daran, dass das Literarische Zentrum bis heute keine feste Bleibe habe und im nächsten Jahr dennoch 30 Jahre alt werde.

Der jährlich ausgeschriebene Preis habe ursprünglich als Ermunterung zum Schreiben für die eigenen Mitglieder gedient und anfänglich gerade mal 23 Schreiberlinge aus der Region zum Mitmachen animiert. Daß dieser Preis, der trotz seiner Dotierung im Verhältnis zu anderen Literatur-Preisen eher bescheiden sei, dank Internet dennoch so ein gewaltiges Echo findet, sei ein Pfund, mit dem Mannheim wuchern könne.

Dass in diesem Jahr wieder gut 400 Teilnehmer aus 12 Ländern weltweit ihre Geschichten nach Mannheim schickten ist eher nicht der Höhe des Preisgeldes oder dem besonderen Renommee des Preises zu verdanken, sondern der Besonderheit seiner Ausschreibung. Der Mannheimer-Heinrich-Vetter-Literaturpreis ist einer der wenigen verbliebenen Wettbewerbe im deutschsprachigen Raum, an dem Schreiberlinge teilnehmen können, ohne dass sie eine Publikation vorweisen oder von einer Jury nominiert werden müssen.

Die Beliebtheit des Preises bei den Autorinnen und Autoren kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wettbewerb und Preisträger beim Mannheimer Lesepublikum und in der Region auf eklatantes Desinteresse stoßen. Auch das Echo in der Lokalpresse ist bescheiden. Von einer nationalen oder gar internationalen Bedeutung des Preises zu sprechen, wäre vermessen.

Ohne an den Modalitäten des Preises grundsätzlich etwas zu ändern, böte sich für das Jubiläumsjahr 2007 die Gelegenheit, Ablauf und Dramaturgie zu hinterfragen.

Bei einer vereinsinternen Prämierung, mag es Sinn machen, die Preisträger erst bei der Preisverleihung bekannt zu geben. Bei bei einem Literaturpreis, der in die Öffentlichkeit wirken soll, die Preisträger wie Kaninchen aus dem Zylinder zu zaubern, erscheint fragwürdig. Preisverleihungen und Lesungen werden vom Publikum nicht als Überraschungseier goutiert. Die Leute wollen wissen, was sie erwartet: Wer wird für welche Geschichte ausgezeichnet und mit welcher Begründung. Ähnliches gilt für das Literaturfest am Vorabend der Preisverleihung: “Unsere Autorinnen und Autoren lesen ihre Geschichten zum Ausschreibungsthema”. Wer bitte liest hier was? Den vorlesenden Preisträgern und Autoren erweist man jedenfalls keinen Gefallen, wenn man dem Publikum verschweigt, wer liest.

Das Heinrich-Vetter-Forum in der Mannheimer Kunsthalle als Ort zur Würdigung des Preisstifters wunderbar geeignet; zum Vorlesen von Texten vor Publikum allerdings nicht; schon gar nicht mit miserabel eingestellter Tontechnik. Schön wäre, hielten die Veranstalter wenigstens die Texte zum mitlesen bereit.

Kutschkers Rückblick auf die Anfänge der Räuber greift zu kurz. “Zu Beginn war der Treffpunkt das Blaue Haus, auch Kubus genannt. Ein Gebäude in der Nähe des Schlosses.” – Nein, zuerst war der Literaturzirkus, an dem sich fast alle Buchhandlungen der Innenstadt beteiligten, auf dem Paradeplatz. Als “Räuberhöhle” diente die “Büchergilde Gutenberg” in der Kunststrasse, von dort aus wurde die halbe Stadt mit Plakaten aus der Feder von Getrude Degenhardt beklebt, um auf das Ereignis aufmerksam zu machen. Ziel war es seinerzeit, die Schwellenängste der Leser vor Buchhandlungen und Bibliotheken zu überwinden und sie auf der Strasse mit Büchern und Autoren in Kontakt zu bringen. Aus der Kernmannschaft der Organisatoren des Literaturzirkus gründeten sich “Die Räuber”.

Dass sie bis heute unbehaust sind, muss kein Mangel sein. Es ist vielmehr Chance, dass sie dahin zurückkehren, wo sie her kommen auf die Strasse und in die Öffentlichkeit.

(siehe auch: Mit Onkel Bora unter den Tisch gesoffen)

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